Ziel
Die Teilnehmenden verstehen gesellschaftliche Strukturen, aus denen Ungerechtigkeiten hervorgehen und wie Unterdrückungen und Diskriminierungen in ihren Wirkmechanismen funktionieren. Sie lernen Handlungsoptionen in diskriminierenden bzw. unterdrückenden Situationen kennen und probieren diese aus.
Rahmen
- 90 min.
- 20 Teilnehmenden
- großer und kleiner Raum, Flipchart, Stifte, optional: Requisiten, Kostüme
Ablauf
Vorbereitung
Für das Forumtheater brauchen Sie einen großen, freien Raum mit einer klar markierten Bühne, die Sie z.B. mit Kreppband auf dem Boden abkleben können. Außerdem benötigen Sie einen weiteren kleinen Raum für die Szenenerarbeitung in den Kleingruppen. Im besten Fall ist die Gruppe bereits mit der Rollenarbeit vertraut und mittels Theatermethoden aufgewärmt. Ein breites Angebot an Übungen und Spielen finden Sie online im Improwiki: https://improwiki.com/de.
Erklärung der Methode 10 Minuten
Erklären Sie den Teilnehmenden, dass eine Kleingruppe eine diskriminierende bzw. unterdrückende Situation szenisch erarbeiten und darstellen soll. Die Situation soll dabei ganz bewusst scheitern. Das bedeutet, dass die diskriminierte/unterdrückte Person am Ende der Szene weiterhin in der machtlosen Position ist. Diese Szene wird anschließend analysiert und erneut aufgeführt. Ab dem zweiten Durchgang kann das Publikum jedoch Menschen in ihren Rollen auf der Bühne ersetzen und mittels neuer Handlungsoptionen die Szene verändern.
Situationsbesprechung 15 Minuten
Bitten Sie die Teilnehmenden nun, sich in Kleingruppen zusammenzufinden oder teilen Sie sie (kreativ) ein. Ziel der Kleingruppenarbeit ist es, gemeinsam eine Situation zu finden, welche die Teilnehmenden gern analysieren und szenisch darstellen möchten. Die Teilnehmenden können aber auch eine Situation auswählen, die rein hypothetisch ist. Bitten Sie die Gruppen, sich innerhalb von 10 Minuten über die Situationen auszutauschen. Jede Kleingruppe soll sich nun auf eine Situation einigen, die sie im Plenum kurz vorstellen werden.
Arbeit an der Szene (15 Minuten)
Holen Sie die Teilnehmenden wieder ins Plenum und bitten Sie die Kleingruppen, ihre jeweilige Situation den anderen kurz zu schildern. Aus den dargestellten Situationen soll nun anhand der folgenden Leitfragen eine Szene bestimmt werden, welche szenisch dargestellt werden soll:
● Welche dieser Situationen passieren besonders häufig?
● Welche Situation erscheint euch besonders relevant?
● Welche Szene wollen wir spielen?
Um den Prozess zu beschleunigen, können Sie aber auch eine Szene vorgeben, die die Teilnehmenden spielen sollen.
Nachdem eine Szene ausgewählt wurde, fragen Sie die Teilnehmenden, wer diese Szene spielen möchte, so dass alle Rollen besetzt sind. Die Spieler:innen müssen dabei nicht aus der Gruppe kommen, welche die Situation vorgeschlagen hat. Anschließend arbeiten die Spieler:innen für 10 Minuten konkret an ihrer Szene und proben diese.
Auch hier sind einige Aspekte zu beachten:
● Jede Szene braucht mindestens eine:n Hauptcharakter (Person, die diskriminiert wird), als auch mindestens eine:n Gegenspieler:in (Person, die diskriminiert).
● Die Szenen sollen dabei nicht mit dem Konflikt beginnen, sondern eher mit einer kurzen Vorgeschichte auf ihn hinsteuern.
● Die Situation soll dabei scheitern, das bedeutet, dass der Hauptcharakter am Ende der Szene weiterhin machtlos bzw. in der unterdrückten Position ist.
● Jede Szene hat einen klaren Anfang und ein klares Ende. Das Ende ist ein vereinbartes Stichwort, bei welchem die gesamte Gruppe im Freeze bewegungslos auf der Bühne verharrt und die Szene damit beendet.
● Weisen Sie die Teilnehmer:innen gegebenenfalls darauf hin, dass es in der Situation nicht zu körperlicher Aggression bzw. physischer Gewalt kommen soll – diese Form von Unterdrückung lässt sich nicht auflösen.
● Bitten Sie die Teilnehmer:innen, niemals sich selbst zu spielen oder mit Klarnamen in den Szenen zu arbeiten. Jede:r Darstellende spielt eine Rolle!
Während die Kleingruppe ihre Szene bespricht und probt, erhalten die anderen Teilnehmer:innen ebenfalls eine Aufgabe: Sie sollen mindestens 30 Handlungsoptionen finden und auf Moderationskarten schreiben. Diese werden später die Grundlage für das Eingreifen in der Szene sein.
Aufführung und Eingreifen 25 Minuten
Die Kleingruppe führt nun ihre Szene einmal vollständig auf. Bedanken Sie sich am Ende der Szene bei den Darstellenden und applaudieren Sie der Gruppe. Analysieren Sie nun gemeinsam mit dem Publikum die Szene anhand folgender Fragen:
● Was ist passiert? Welche Vorgeschichte hat die Situation?
● Welche Menschen waren beteiligt? Was waren ihre Rollen? Wie haben sie gehandelt?
● Was war der konkrete Auslöser für den Konflikt?
Bitten Sie das Publikum nun, zu überlegen, welche der 30 Handlungsoptionen (oder auch welche neue Option) ausprobiert werden könnte. Nach der Einigung auf eine alternative Handlungsoption soll diese beim nächsten Durchgang eingebracht und die Situation damit verändert werden. Ermutigen Sie die Teilnehmer:innen, ihre Ideen selbst umzusetzen und nicht an andere zu delegieren.
Jetzt wird die Szene nochmal gespielt. Ab jetzt kann die Person aus dem Publikum die Szene jederzeit mit einem Klatschen zum Einfrieren bringen, auf die Bühne treten und eine Person aus der Szene ersetzen. Für den Wechsel wird die Person auf der Bühne angetippt. Sobald die Person aus dem Publikum den Platz der Rolle eingenommen hat, wird die Szene weitergespielt und die eingewechselte Person hat die Möglichkeit, mit ihrer Handlungsoption die Szene zu verändern. Wichtig ist hierbei, dass die eingewechselte Person die Rolle, den gesellschaftlichen Rahmen und das Thema des Konflikts nicht verändert. Analysieren Sie die Veränderungen gemeinsam mit dem Publikum, sobald die Szene mit der eingewechselten Person durchgespielt wurde:
● Was hat sich verändert? Welche Strategie hat die eingewechselte Person verfolgt?
● Ist diese Handlungsoption realistisch? Warum (nicht)?
Bitten Sie auch die Darstellenden sich dazu zu äußern, wie sie sich mit den Veränderungen in der Szene gefühlt haben.
Ermutigen Sie die Teilnehmer:innen dazu, verschiedene Handlungsoptionen auszuprobieren und das Forumtheater als Übungsplatz zu nutzen. Alle Handlungsoptionen sind zunächst zulässig, sofern sie realistisch umsetzbar wären. Sollten aus dem Publikum »magische Lösungen« (Ein Drache wird gerufen und frisst die:den Gegenspieler:in in der U-Bahn) eingeworfen werden, thematisieren Sie diese sofort. Fragen Sie das Publikum, ob diese Optionen tatsächlich in der Realität umsetzbar wären.
Als Moderator:in bewegen Sie sich also im Feld zwischen Ermutigen zu Handlungen und konstruktivem Anzweifeln ihrer Realisierbarkeit. Sie sind jedoch nicht Regisseur:in der Situation. Die Teilnehmer:innen sind die Expert:innen ihrer eigenen Realität und stehen im Mittelpunkt. Zum erneuten Start der Szene bitten Sie die Kleingruppe jeweils zurück in ihre Ausgangskonstellation. Nach Beendigung der Spielphase, bitten Sie die Teilnehmer:innen, ihre Rolle abzuschütteln.
Auswertung
Bitten Sie die Teilnehmer:innen zur Gesamtauswertung der Methode in einen Kreis. Danken Sie allen Teilnehmer:innen für ihre Kreativität und dafür, dass sie diese Situationen miteinander geteilt haben. Werten Sie die Methode mit allen gemeinsam aus. Empfehlenswert ist es, zunächst auf die gespielten Szenen einzugehen:
● Wie war es für euch, die Situationen zu spielen?
● Wie war es für euch, als Publikum, diese Situationen von außen zu erleben?
● Welche Handlungsoptionen sind euch am stärksten hängen geblieben?
● Erlebt ihr solche Situationen in eurem Umfeld/ eurer Nachbarschaft?
Anschließend erweitern Sie den Rahmen durch Fragen nach Handlungsoptionen:
● Was ist wichtig zu beachten, wenn wir in schwierigen und/oder gefährlichen Situationen handeln wollen?
● Was hindert uns vielleicht daran, etwas zu tun?
● Wo finden wir Unterstützung, Verbündete?
Prozessorientierung und Fokus auf die Analyse Forumtheater ist ein Übungsplatz für die Realität, aber Forumtheater ist niemals DIE Realität. Viel eher geht es darum, die Ausprägungen von Unterdrückungen und Diskriminierungen zu analysieren, sie erkennbar und verstehbar zu machen, um ihnen besser begegnen zu können. Alle Handlungsoptionen müssen deshalb kritisch hinterfragt werden. Dennoch geht es um die Aktivierung der Teilnehmer:innen hinsichtlich unterdrückender Situationen handlungsfähig zu bleiben und ihre Palette an Handlungen auszubauen.
Anwendung auf pädagogische Arbeit mit Kindern
Für das Formtheater gibt es keine Umsetzungsbeschreibungen für Kinder. Denkbar sind Rollenspiele zu Konfliktsituationen aus der Lebenswelt der Kinder ab 8 Jahre. Vorbereitende Übungen wie Bewegungen im Raum in verschiedenen Geschwindigkeiten, Berufe-Raten mit Pantomime etc. sind hilfreich, um die Kinder für die Rollenspiele einzustimmen. Dann werden gemeinsam Konfliktsituationen gesammelt und eine Reihenfolge der Bearbeitung festgelegt. Die Situationen werden zunächst als eskalierende Konflikte für max. 5 Minuten gespielt. Daraufhin werden die Kinder gefragt, was sie beobachtet haben und die spielenden Kinder werden befragt, wie es ihnen in den Rollen erging. Der Fokus liegt darauf, welche Gefühle und Gedanken aufgetaucht sind und wie diese im Verhalten sichtbar werden. Im zweiten Schritt werden Lösungsvorschläge in der Gruppe gesammelt. Kinder die Ideen haben, können diese entweder selbst spielen oder den spielenden Kindern vorschlagen. Nach der zweiten Spielsequenz kann die Auswertung nach obigem Schema ablaufen.
Wichtig ist, Spaß am Spiel und am Finden von Lösungen zu vermitteln: das bedeutet mit Freude, Einsatz und Applaus die Szenen starten und enden lassen (z.B. die Szenen gemeinsam laut mit „Klappe die 1.“ oder „…und Action“ einleiten, nach der Szene laut „…und Stopp“ zu rufen und den Spielenden nach den Szenen viel Beifall zu geben).
Quelle: https://www.zusammenhalt-durch-teilhabe.de; file:///home/chronos/u-e0d06ac9664630d0e373595ec36d9356a2168b02/MyFiles/Downloads/MB_MW_II_3.pdf